Höhenmeter, Natur und Erlebnisse

Der Gran Fondo des 3RIDES-Festivals in Aachen führt durch Deutschland, die Niederlande und Belgien. Einblicke & Trainingstipps. Text: Günter Jekubzik

Ich atme schwer, meine Herzfrequenz steigt – 175, 180 185 Schläge pro Minute. Meine Geschwindigkeit: zehn, neun, acht km/h. Nach einer kilometerlangen Abfahrt standen wir plötzlich,
gefühlt, vor einer Wand. Der Steigungsgrad: 20 Prozent. Wir sind am Rand des Kalltals, westlich von Aachen. Etwas mehr als 50 Kilometer des 3RIDES-Gran-Fondo haben wir zurückgelegt – noch 150 liegen vor uns. Es ist zu früh, um am Limit zu sein. Doch: Dies betrifft nur einen von uns zwei. Mich.

Erkundeten 2022 die Strecken rund um Aachen: Marcel Kittel (re.), Jens Heppner (2.v.r.) und Gerald Ciolek (3.v.r.)

Mein Begleiter fängt in dieser Situation an zu erzählen. „Sich das Tempo gut einzuteilen, ist die große Herausforderung. Es ist wichtig, sich gerade am Anfang ein bisschen zurückzuhalten – und die passende Mischung zu finden zwischen schnell und zu schnell losfahren. Denn: Was man am Anfang verliert, das holt man hinten auch meist nicht wieder rein.“ Dies ist eine Generalprobe: Wir testen die neue 200-KilometerStrecke eines Radmarathons. Jetzt, im Winter. Mein Begleiter ist ein Langstrecken-Spezialist: Michael Bitter hat zweimal das 24-Stunden-Rennen bei „Rad am Ring“ gewonnen. 2021 gewann er das 800 Kilometer lange Race Across Germany mit einer Endzeit von weniger als 27 Stunden. Dies ist seine Heimat – dies sind seine „Hausrunden“.

Der Start aller Radmarathons und Ausfahrten des 3RIDES-Festivals befindet sich auf dem Festival-Gelände – dem CHIO-Gelände des weltberühmten SpringreitTurniers – in Aachen. Es liegt auf der „holländischen“ Seite im Westen, sodass wir die Kaiserstadt umfahren, ehe wir südlich in Richtung Eifel gelangen. „Die Strecke ist landschaftlich schön, dadurch, dass man die Eifel und den Rursee mitnimmt“, sagt Michael Bitter. „Für den, der die Gegend noch nicht kennt, ergeben sich ein paar sehr schöne Ausblicke. Etwa wenn man von oben auf den Rursee herunterschaut. Wobei die Strecke natürlich vor allem eine Herausforderung ist – wegen der Distanz und wegen der vielen Höhenmeter. Für die Langstrecke sollte man schon ein gutes Trainingslevel mitbringen und auf die Verpflegung achten.“

Training & Ernährung

Schon die ersten Kilometer rund um Stolberg, dem „Tor zur Nordeifel“, zeigen uns: Flach wird es auf dieser Strecke selten. Die Anstiege sind meist nicht lang oder steil – aber die schiere Anzahl ist herausfordernd. Während der Fahrt gibt mir mein Begleiter Tipps, wie man sich auf einen höhenmeterreichen Radmarathon vorbereiten kann. Er selbst startet sein Training im Winter mit „relativ kurzen“ Intervallen. Ergo: Sprintintervallen und hochintensivem Intervall-Training, kurz HIIT. „Ich sitze dabei viel auf der Rolle, das ist aber hauptsächlich arbeitsund familienbedingt“, sagt er. „Mein Trainingsplan kann auf kurzfristige Änderungen reagieren, sodass man unter der Woche kürzere Einheiten fahren kann und am Wochenende dann länger unterwegs ist.“

Kurz hinter den Aachener Vororten wartet der erste längere Anstieg des Tages – rund zehn Kilometer bergauf. „Die Jägerhausstraße ist auch Teil meines Trainingsgebietes. Gerade die Ausflüge in Richtung Eifel nutze ich hier zum K3-Training – diese Anstiege lassen sich ideal mit viel Kraft und einer niedrigen Trittfrequenz fahren, denn sie sind sehr gleichmäßig und nicht zu steil. Zudem war die Straße auch Teil meiner ‚Race Across Germany‘-Strecke von Aachen im Westen bis Görlitz im Osten, die ich schon vorher ein paarmal abgefahren bin.“ Es folgt: eine steile Abfahrt ins Kalltal und dann – eine Wand. Eine Rampe mit bis zu 20 Prozent Steigung. Sie bricht meinen Rhythmus. Sie ist so ganz anders als die gleichmäßigen Steigungen zuvor. Irgendwann bin ich oben. Anhalten. Atmen. Essen.

„Die Nahrungsfrage ist für Endurance-Athleten eine wesentliche. Die Verträglichkeit der Produkte ist wichtig. Da hilft oft nur: ausprobieren. Während fünf bis sechs Stunden langen Einheiten kann ich mich recht einfach mit Gels und Riegeln verpflegen. Ich habe mir angewöhnt, dass ich mich bei Ultracycling-Events fast ausschließlich flüssig ernähre, um meinen Verdauungsstrakt möglichst wenig zu belasten. Da greife ich auf hochkalorische Getränke zurück, die dann eine gute Mischung aus langen und kurzkettigen Kohlenhydraten bieten, die ich vorher entsprechend zusammenmische.“ Wir blicken von oben auf den Rursee und bekommen so etwas wie ein „Alpen-Feeling“: Eine längere Serpentinen-Abfahrt führt uns hinunter nach Woffelsbach. Wir fahren noch eine Weile am Rursee entlang, der im Sommer mit weißen Segeln gesprenkelt ist. Heute sieht man hier jedoch nahezu niemanden. Wir haben die Straße fast für uns allein.

Doch die touristische Prägung der Region wird uns auch im Winter klar: kleine Dörfer mit Familienpensionen, Gaststätten und Cafés, Serpentinen wie im Hochgebirge – das bietet diese Eifel-Region. Bei Kilometer 70 baut die Streckenführung einen unfreiwilligen Wortwitz ein: Auf dem Ortsschild steht der Name „Hammer“ – und kurz darauf beginnt ein zwei Kilometer langer Abschnitt mit mehr als zehn Prozent Steigung. Über das Hohe Venn geht es weiter in den wallonischen Teil Belgiens, die Provinz Lüttich. Zwischen Surbrot und dem Fischvenn erreichen wir den mit 604 Metern über dem Meer höchsten Punkt der Strecke. Wir sind in der Nähe des Signal de Botrange, des mit 694 Metern Höhe höchsten Bergs Belgiens. Weiter. Abfahrt. Danach wartet der nächste „Scharfrichter“: die Côte de la Ferme Libert. Der Anstieg war früher ein Teil der Strecke des Frühjahrsklassikers Lüttich-Bastogne-Lüttich. Vorbei an der Formel 1-Strecke von Spa-Francorchamps geht es über kleine Wege – immer wellig, bergauf und bergab – durch Hockai, Solwaster und vorbei am Stausee La Gileppe bei Jalhay.

Dörfer & Höhenmeter

Das Höhenprofil erinnert in diesem Abschnitt an ein Sägeblatt. Doch nach dem Stausee geht es vornehmlich bergab. Kurz vor Eupen überqueren wir eine unsichtbare Sprachgrenze. Die Straßenschilder sind nicht mehr auf Französisch, sondern auf Deutsch. Bald danach, in Wallonien, fahren wir durch wunderschöne Ortschaften in Richtung Henry-Chapelle und Hombourg. Bevor es bei Sippenaeken auf den niederländischen Teil der Strecke geht, bietet sich das RadRestaurant „Le Soigneur“ für einen letzten längeren Stopp an.

In den Niederlanden hat Milan van Wersch, der zahlreiche Rennrad-Events in Limburg koordiniert, diese Strecke kuratiert. „Unsere reizvolle hügelige Landschaft im Süden der Niederlande in einer Route mit den belgischen Ardennen zu kombinieren, ist schon etwas Besonderes“, sagt er. Seine Routenwahl folgt nicht den Klassikern wie dem Amstel Gold Race, das ebenfalls in dieser Region stattfindet, sondern kleineren unbekannten Straßen. Die Strecke schlängelt sich auf schmalen, welligen Wegen durch das Mergelland, das nach den überall sichtbaren Böden und Hügeln aus Kalkstein, die auf Niederländisch „Mergel“ heißen, benannt ist. Hinter der höchstgelegenen Ortschaft der Niederlande, dem „Bergdorpje“ Vijlen, fahren wir nach 175 Kilometern über eine urige grüne Grenz-Furt zurück nach Deutschland. Und dann direkt wieder in die Niederlande. Wir befinden uns eindeutig im Dreiländereck. Fünf Kilometer nach der Grenze erreichen wir wieder unser Ziel in Aachen – nach genau 200 Kilometern und 3200 Höhenmetern. //

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